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Montag, 20. Dezember 2010

00 Prolog

00 Prolog

Leise vor mich hinsummend saß ich jetzt hier. In unserer... nein... meiner Wohnung. Ich wusste nicht genau, wie viele Stunden ich hier saß. Vielleicht waren es auch schon Tage. Es interessierte mich leider nicht sonderlich, sonst hätte ich diesem Aspekt sicher mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Ich hatte mich erst drei Mal von der Stelle bewegt.
Einmal als ich dringend etwas zu trinken brauchte. Die Kopfschmerzen waren einfach unerträglich gewesen.
Das zweite Mal folgte ein paar Stunden später, als ich dringend aufs Klo musste. Ich hätte wohl nicht so viel schwarzen Tee trinken sollen. Nicht nur dass ich deswegen noch einmal aufstehen musste, nein, ich hatte mir auch noch meine Zunge verbrannt.
Das dritte Mal war, als mir unerträglich kalt wurde, was eine gefühlte Ewigkeit her war. Wir hatten zwar Sommer, aber ich zitterte wie verrückt und fühlte die Kälte, die sich langsam in meinem Körper ausbreitete. Ein besonders schönes Gefühl war das nicht. Wäre es erträglicher gewesen, hätte ich mich sicher nicht aufgerafft und mir eine Decke geholt. Sie roch nach ihm.
Im Hintergrund hatte ich leise eine CD laufen lassen. Am Anfang hätte ich sie am liebsten sofort wieder aus der Anlage gezerrt und gegen die nächstbeste Wand geworfen und wäre lachend auf ihr herumgesprungen. Aber mit der Zeit war der Effekt, den sie auf mich hatte, eher beruhigend. Besonders ein Lied hatte es mir angetan. Deshalb drückte ich unablässig Repeat und lauschte den Klängen und seiner Stimme.
Die Kopfschmerzen hatten langsam der Müdigkeit Platz gemacht. Ich war so unendlich müde. Warum war mir das passiert? Warum war uns das passiert? Es war so schrecklich unfair.
Ich zog meine Beine an, legte meine Arme um diese und stützte meinen Kopf auf meinen Knien ab. Mein Blick wanderte durch die Wohnung und blieb an den Glassplittern hängen. Sie lagen direkt neben der Kommode, auf der zuvor immer unser AB gestanden hatte, und umrahmten das Bild und dessen Rahmen, welches ich auf den Boden hatte fallen lassen.
Erst war es zu schmerzhaft gewesen, das Bild aufzuheben. Jetzt. Ja, jetzt war ich zum einen zu müde und zum anderen war es der Beweis, dass ich das hier wohl nicht nur träumte.
Ich schloss für einen Moment meine Augen und atmete tief durch.
Vielleicht träumte ich ja doch nur und redete mir ein, dass das passiert war. Aber wieso sollte ich das tun? Da lag der Hund begraben. Ich würde doch niemals von so etwas träumen, so grausam war mein Unterbewusstsein sicher nicht. Und mein inzwischen leicht bläulicher Oberarm bewies, dass Zwicken entweder niemanden aus seinen Träumen weckte oder aber das alles der Realität entsprach.
Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich auf den Knopf drückte, der mir erneut das Herz brechen würde.

Sie haben 8 neue Nachrichten.

Das stimmte nicht ganz. Ich hatte die Nachrichten schon so oft gehört, dass ich sie mitsprechen konnte.

Erste Nachricht: Hey... öhm... ich bin‘s. Edward.

Ich lächelte schwach, als ich seine Stimme hörte. Ich konnte mich noch genau an den Tag erinnern, als ich nach Hause kam und diese Nachricht hörte.
In diesem Moment wurde es im Hintergrund laut und man hörte noch eine zweite Stimme.

Alter, jetzt mach mal hinne. Das ist ja nicht zu ertragen. Ich dachte, du wärst ein gestandener Mann und nicht so ein verpickelter, kleiner Teenagerjunge, der gerade versucht seiner großen Liebe eben diese zu gestehen!

Ein leises Lachen entfloh meiner Kehle. Typisch Jack.

Halt dich da raus. Geh die anderen nerven.

Man hörte deutlich wie nervös und jetzt auch gereizt Edward war. Am anderen Ende der Leitung hörte man als nächstes, wie er tief durchatmete. Er hatte mir später gestanden, dass er so aufgeregt war, dass er beinahe einfach wieder aufgelegt hätte.

...Also gut. Ich... nun ja... ich wollte mich bei dir melden, weil... naja wir haben uns jetzt seit zwei Wochen nicht gesehen und ich wusste nicht, ob du mich anrufst oder ich dich anrufen sollte oder...

Ed, lass dir Eier wachsen. Mit deinem Gestottere kommst du nicht weit bei den Ladies.

Ich konnte mir richtig vorstellen, wie Edward jetzt versuchte Nathan mit seinen Blicken zu töten.

Schon gut, schon gut! Ich wollte fragen, ob wir uns treffen könnten. Irgendwo. Und nur wenn du willst. Ich würde mich wirklich freuen, dich wiederzusehen.

Man konnte das Schmunzeln beinahe hören. Die Jungs hatten mir später erzählt, dass er hochrot angelaufen war und durch den Bus getigert war.

Autsch!

Steven hatte ihm ein Bein gestellt. Das allgemeine Lachen neben Edwards Fluchen war für ein paar Sekunden das einzige Geräusch, was man vernehmen konnte.

Au. Jedenfalls, melde dich doch bitte bei mir. Meine Nummer hast du ja... Oder?

Zu meiner Schande musste ich gestehen, dass ich sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr hatte. Ich hatte nicht geglaubt, dass er sich bei mir melden würde oder dass ich jemals den Mut dafür aufbringen könnte, und hatte sie gelöscht.

Falls nicht... dann wäre das die...

Als ich ihm gestand, dass ich sie nicht mehr wusste, hatte er mich damals kurz verletzt angesehen. Seitdem konnte ich sie auswendig. Ich hatte es ja nur getan, weil ich glaubte, dass wir einfach keine Zukunft zusammen hatten.
Autsch. Die hatten wir jetzt auch nicht mehr.

Zweite Nachricht: Hey Schatz. Ich vermiss dich. Warum musst du auch unbedingt studieren?

Für diesen Satz hatte er später einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen. Er hatte darüber gelacht und mich geküsst.

Wir haben uns jetzt vor drei Wochen das letzte Mal gesehen und ich will gar nicht daran denken, dass es noch weitere drei dauert, bis ich wieder bei dir bin. Weshalb ich eigentlich anrufe... naja... ich wollte fragen, ob du nicht vielleicht übers Wochenende zu uns kommen könntest. Dieses oder nächstes. Und, bevor du deine fast berechtigten Einwände einlegst, Erin wollte auch runterfliegen mit einer Freundin, aber die ist krank. Sie hat angeboten, dir die Karten wirklich günstig zu verkaufen, weil sie sonst einfach verfallen. Also bitte. Ich vermisse dich schrecklich.

Am nächsten Tag hatten wir eine lange Diskussion darüber geführt, ob das wirklich eine so gute Idee wäre. Erin und ich waren nicht gerade die besten Freundinnen.

Dritte Nachricht: Hey Baby, ich ruf nur an, um dir Bescheid zu sagen, dass ich es heute nicht schaffe. Unser Bus hatte eine Panne und jetzt sitzen wir hier in diesem Kaff fest, bis der Ersatzbus da ist. Ich weiß nicht, wie lange das in etwa dauern wird. Es tut mir leid. Ich liebe dich.

Das Lächeln war wie weggefegt. Er war zu diesem verdammt wichtigen Termin nicht gekommen.
Ich seufzte. Das war der Auslöser für eine unserer heftigsten Streitereien.
Im Nachhinein wünschte ich, dass es nicht dazu gekommen wäre. Dadurch hatte ich nur Zeit mit ihm verloren.

Vierte Nachricht: Bella! Hey Schatzi! Wie geht‘s dir? Uns geht‘s prima. Ich wollte nur anrufen, weil... um anzurufen. Das klingt jetzt irgendwie seltsam. Aber. Ja. Kein Aber.

Das Lachen, was darauf von Edward folgte, zeugte von mindestens 8 Bierflaschen, zu diesem Zeitpunkt geleert.

Leg das Telefon weg! Wir müssen FEIERN!

Das war Sam gewesen. Darauf folgte eine längere Diskussion über die vermeintliche Wichtigkeit des Gesprächs, bis Sam nachgab.

Dann mach eben. Aber beeil dich.

Jaja... Schatz, ich liebe dich soooooo sehr.

Das Grinsen konnte man wieder hören. Dann wurde seine Stimme leiser.

Ich vermisse dich so sehr. Jeden Tag. Macht nur halb so viel Spaß ohne dich. Ich liebe dich.

Fünfte Nachricht: Hey Bells, morgen ist es endlich soweit! Zwei verdammte Monate. Das nächste Mal kommst du mindestens einen Monat mit. Ich halt das nämlich echt nicht aus. Das musst du mir versprechen, ja?

Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Die Tränen brannten wieder in meinen Augen.

Wo müssen wir lang? Rechts oder links?

Jake und Edward waren noch unterwegs, um was zum Trinken zu organisieren.

Rechts. Jedenfalls, Schatz, ich vermisse dich und morgen musst du mich den ganzen Tag ertragen, damit ich die verloren gegangene Zeit mit dir kompensieren kann. Denk nicht mal dran, auch nur einen Schritt ohne mich zu tun.

Wie sehr ich mir wünschte, dass das wahr werden würde. Dann wäre er jetzt bei mir. Ich würde ihn garantiert nicht mehr loslassen. Ich würde sogar mein dämliches Studium schmeißen.

Denk dran. Nur noch einen Monat.

Gott, er klang so glücklich. Mein Herz brach in diesem Moment. Er wusste nicht, dass es nicht nur in einem Monat einen Grund zum Feiern gegeben hätte. Heute wäre noch einer gewesen und in 6 Monaten wieder.
Jetzt liefen diese verfluchten Tränen wieder.

Gott, ich liebe dich so sehr und ich freue mich riesig auf Morgen. Ich vermisse dich. Bis morgen, meine baldige Mrs. Masen.

Sturzbäche. Es war alles so gemein. So unfair.
„Nein, nein, nein, nein.”, wiederholte ich mein Mantra. Ich bildete mir das alles nur ein.

Sechste Nachricht: Bella? Bella?! Geh schnell an dein Telefon! Jake hat angerufen. Es ist etwas passiert. Bitte melde dich ganz schnell.

Ich schluchzte auf. „Nein, nein, nein, nein.”

Siebte Nachricht: Bells? Süße? Komm schon, geh ran. Ich bin‘s Emmett. Bitte geh an dein Telefon. Es ist wirklich wichtig.

Ich schüttelte jetzt zeitgleich meinen Kopf. „Nein, nein, nein, nein.”

Achte Nachricht: Isabella! Geh an dein verdammtes Telefon! SOFORT! Es ist wichtig! Egal was du gerade tust und denkst, ist wichtiger. Los geh an dein scheiß Telefon!

„Ich will nicht. Es tut so weh.”, wimmerte ich. Jetzt setzte das Wippen ein. Vor, zurück, vor, zurück.
Keinen der letzten vier Anrufe hatte ich beantwortet.
Das Lied lief immer noch im Hintergrund. Er hatte es für mich geschrieben. Nach dem dritten Anruf.
Ich versuchte meine Atmung zu beruhigen, bevor ich schon wieder Schluckauf bekam.
Ich wünschte mir so sehr, dass das ein verdammter Traum war. Warum war es keiner? Sah Gott nicht, wie ungerecht er war?

Show my cards,
Gave you my heart,
Wish we could start all over.
Nothing's makin' sense at all.
Tried to open up my eyes,
I'm hopin' for a chance to make it alright.
When I wake up,
the dream isn't done.
I wanna see your face,
and know I made it home.
If nothing is true,
What more can I do?
I am still painting flowers for you,
I am still painting flowers for you.

Mein Blick wanderte erneut durch den Raum und blieb an unserem Schlafzimmer hängen. Mein Schlafzimmer. Ich konnte dort unmöglich Schlaf finden. Aber hier auch nicht. Dabei war ich so unglaublich müde.
Und die Kopfschmerzen waren wieder da.
Das nächste, was ich mitbekam, war wie ein Schlüssel im Schloss umgedreht wurde.
Mein Hirn hatte wohl so etwas wie eine Kurzschlussreaktion.
Ich sprang von der Couch und rannte zur Haustür. Er musste es einfach sein. Bitte, bitte, bitte.